Ergebnisse der ZEV-Umfrage:
Zuverlässigkeit in der Kindertagesbetreuung seit den Sommerferien 2022 in Bremen
Mehr als ein Drittel der teilnehmenden Eltern (35%) gibt an, dass der Betreuungsplatz des Kindes seit den Sommerferien zeitweilig nicht wie vertraglich vereinbart genutzt werden konnte. Von diesen konnten ca. 19% (94 TN) ihren Platz an mehr als 15 Tagen von den möglichen 36 Betreuungstagen seit den Sommerferien nicht wie vertraglich vereinbart nutzen; ca. 13% (64 TN) an 10 bis 15 Tagen, ca. 28% (136 TN) an 6 bis 10 Tagen und ca. 38% (185 TN) an 1 bis 5 Tagen. Somit konnten knapp 20% der 1.402 Teilnehmenden ihren Kita-Platz seit den Sommerferien an zumindest fünf Tagen nicht wie vertraglich vereinbart nutzen. Als häufige Ursachen wurden die Krankheit von Fachkräften und fehlendes Personal genannt.
Um die Auswirkungen der Betreuungsausfälle näher zu reflektieren, wurden die betroffenen Eltern* zunächst nach den häufigsten Zeitpunkten der Bekanntgabe des Betreuungsausfalls gefragt. Knapp 17% (81 TN) geben an, dass sie häufig von der Einschränkung erfahren, wenn sie das Kind in der Einrichtung abgegeben möchten und knapp 39% (188 TN) erhalten die Benachrichtigung häufig an dem Morgen vor dem Bringen. 23% (112 TN) erfahren von der Betreuungseinschränkung einen Tag vorher und nur 5% (25TN) mehr als einen Tag vorher.
Weiter wurden die Eltern gebeten zu beschreiben, ob die aktuelle Situation für sie bzw. ihre Familie belastend ist und in welcher Form. Hier geben vor allem wenig betroffene Eltern an, dass sie die Ausfälle gut handhaben können. Insbesondere mittel oder stark betroffene Eltern, vor allem auch Alleinerziehende, beschreiben eindrücklich, wie die Unzuverlässigkeit und die Ungewissheit aber auch die hierdurch notwendige spontane Umorganisation ihres Alltags sie belasten. Für die Kinder sein die Betreuungseinschränkungen beispielsweise in der Eingewöhnung, bei Förderbedarfen aber auch im Allgemeinen stark belastend, da die fehlende Konstanz und die gefühlte Ablehnung, die sie durch die Ausfälle erfahren, etwas mit ihnen mache. Eltern beschreiben zudem teilweise verzweifelt, was die Unzuverlässigkeit insbesondere mit Blick auf die Vereinbarkeit von Beruf/Ausbildung mit der Familie macht und das häufig Frauen stärker betroffen sind:
„Wir sind mit den Nerven und Kräften am Ende. Arbeitgeber bringen auch kein Verständnis mehr entgegen. Kinderkranktage sind aufgebraucht und wir wissen nicht, wohin mit dem Kind, wenn Notdienst ist oder wer das Kind später bringen und früher abholen soll. Und das schon vor dem Winter. Langfristig gesehen, muss einer von uns seinen Job aufgeben, wenn insbesondere diese Notdienstregel so bestehen bleibt. Ist anders nicht machbar.“
„Gerade nachdem ich als Frau wieder in den Beruf einstieg, wurde ich weniger ernst genommen, weil ich immer wieder meinen Vorgesetzten bitten musste mir frei zu geben weil mein Kind sonst nicht betreut war. Früher habe ich Projekte geleitet, jetzt nicht mehr. Ich habe gerade ein zweites Kind bekommen, mein Vorgesetzter drängt mich nun meine Stunden nach der Elternzeit zu reduzieren, weil er meint ich falle ja noch mehr aus mit zwei Kindern in der Kita. Karriere als Frau vorbei.“
„Es ist aktuell nicht möglich einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen.“
„Stark, da ich ja in einer Umschulung bin und Alleinerziehend. Dadurch ist aktuell meine Umschulung gefährdet.“
„Ich werde nun wieder arbeiten gehen und ich habe schon Angst wenn ich morgens meinen Chef anrufen muss das ich nicht arbeiten kann weil die Kita zu ist. Es ist halt ein Glücksspiel jetzt wo die Erkältungszeit wieder los geht .“
„Ich muss Urlaub nehmen, oder mich krankmelden (Krankmeldung Kind), oder versuchen es über Dritte abzufangen, oder mein Kind mit an den Arbeitsplatz nehmen..nur kommt man dann kaum zu etwas“
„Ich kann meine Berufliche Arbeitszeit nicht einhalten. Chef sauer… weniger Geld…“
„Ich kann meine Arbeit nach Elternzeit nicht starten. Die Betreuung ist nicht verlässlich möglich.“
Zusammenfassung der aus der Umfrage abzuleitenden Aussagen:
- Viele Eltern können den Betreuungsplatz ihres Kindes wie vertraglich vereinbart nutzen. Sicher gilt auch ein hohes Maß an Anerkennung an die vielen Kitas und Fachkräfte, die ihr Möglichstes tun, um eine durchgängige und gute Betreuung der Kinder zu gewährleisten.
- Knapp ein Drittel der Teilnehmenden kann den Kita-Platz seit den Sommerferien nicht wie vertraglich vereinbart nutzen. Ein Viertel der Teilnehmenden konnte den Kita-Platz an mehr als 5 der 36 Betreuungstage seit den Sommerferien nicht wie vertraglich vereinbart nutzen.
- Die Einschränkungen belasten die betroffenen Eltern teils sehr stark und führen zu spontanen Umorganisationen des Alltags oder Ausfällen bei Ausbildung oder Beruf.
- Manche Eltern sehen ihre Existenz durch die Betreuungsausfälle bedroht.
- Frauen sind durch die Einschränkungen der Kita-Betreuung stärker betroffen und beschreiben hierdurch spürbar Nachteile im beruflichen Werdegang zu haben.
Fazit:
Die Umfrageergebnisse zeigen einmal mehr auf, wie fragil die Kindertagesbetreuung in Bremen an vielen Stellen ist und dies bereits zu einer Zeit, in welcher traditionell eher eine gute Betreuung gewährleistet ist, gegenüber den Herbst- und Wintermonaten. Zu Corona-Zeiten haben sich Notdienste häufig nicht direkt als systemische Probleme offenbart, was nun immer eindeutiger zu sein scheint. Die Fragilität des Systems führt dazu, dass unvorhersehbare Ereignisse, wie die Krankheit einer Fachkraft, direkt starke Auswirkungen auf die Betreuungskonstanz haben. Die Personaldecke ist an vielen Stellen so dünn, dass Ausfälle sofort zwangsläufig zu Betreuungseinschränkungen führen – es gibt keinen Puffer im System. Dabei ist die zuverlässige Betreuung der Kinder die Planungsgrundlage für die Gestaltung des Alltags der Eltern, für Arbeitgeber und bei Ausbildungszeiten!
Im Allgemeinen erkranken stark belastete Menschen häufiger, was vermutlich auch auf stark belastete Fachkräfte zutrifft und die Situation weiter verschärft. Die Existenzängste von Eltern sind real. Diese ergeben sich auf Grund der Fragilität des Systems und mit einer weiteren Ausdünnung der Fachkräftedichte wird dieser Aspekt nur weiter verschlimmert. Es sollte also wichtigstes und höchstes Ziel sein, die Fachkräftedichte zu erhöhen und das System zu stabilisieren und betroffenen Eltern politisch initiierte Hilfen anzubieten. Für stark betroffene Eltern und auch für betroffene Fachkräfte ist der Systemstress, welchen sie ausbaden müssen, nicht zumutbar. Weitere Verluste demoralisierter Fachkräfte, die den Beruf an den Nagel hängen, erhöhen letztlich den Systemstress für die verbliebenen Fachkräfte und die betroffenen Kinder und Eltern noch mehr. Zudem sind die vielerorts üblichen Arbeitsbedingungen für neue Fachkräfte sicher wenig attraktiv. Nicht zuletzt darf die Wichtigkeit einer guten frühkindlichen Bildung bei der Beurteilung der Auswirkungen von Betreuungsausfällen nicht vergessen werden – diese ist immerhin Basis für alles was danach im Bildungsbereich kommt! Die Umfrage zeigt, dass selbst die reine Aufbewahrung in den Kitas und Horten in vielen Fällen nicht zuverlässig möglich ist.
Umfragedesign:
Bremer Eltern mit Kita- oder Hort-Kindern wurden per ZEV-Mailverteiler zur Teilnahme an der Umfrage eingeladen. Darüber hinaus wurden die Gesamtelternbeiratssprecher*innen der Bremer Träger gebeten die Einladung zur Umfrage an Ihre Eltern zu verteilen und die Umfrage wurde per Facebook über den ZEV Account geteilt. Von den ca. 22.000 Bremer Eltern mit Kita- oder Hort-Kindern haben sich knapp 2.700 Menschen die Umfrage angesehen. 1.402 Personen haben einen vollständig ausgefüllten Fragebogen abgegeben. Die Fragebögen konnten vom 08.10.2022 bis einschließlich 14.10.2022 online abgegeben werden. Es war für jede Person eine einmalige Teilnahme möglich.
Unter den Teilnehmenden sind Eltern von sehr vielen verschiedenen Bremer Trägern vertreten (KiTa Bremen, Bremer Evangelische Kirche, Elternvereine, Katholischer Gemeindeverband, AWO, DRK, Entdeckerhaus, Scola Nova, Waldorf, conpart, Hans-Wendt-Stiftung, Familienbündnis, Fröbel, Quirl, PiB, PME, Bürgerhaus Mahndorf, Caritas, Petri&Eichen, ASB, Cekis, na-Kita, Stepke und andere). Die meisten teilnehmenden Eltern gehören den Trägern Kita Bremen (25 %), Bremer Evangelische Kirche (gut 21 %) und den Elternvereinen (18,5%) an. Die Verteilung spiegelt die Platzverteilung bei den Trägern wieder.
Gefragt nach dem Stadtteil, in welchem die Einrichtung, auf welche sich die Antworten beziehen, liegt, wurden alle Stadtteile genannt, wobei die meisten Antworten sich auf die Stadtteile Schwachhausen (knapp 12%), die Neustadt (knapp 10%), Horn-Lehe (knapp 9%) und die östliche Vorstadt (7%) beziehen. Hier ist ein Ungleichgewicht zu der stadtteilbezogenen Platzverteilung festzustellen. Antworten von Eltern aus bildungsnäheren Stadtteilen, wie z.B. Schwachhausen, sind eher überrepräsentiert und Antworten von Eltern aus eher bildungsferneren Stadtteilen sind eher unterrepräsentiert, was u.a. an der Sprachbarriere liegen kann. Auch wenn an der Umfrage nur ein Teil der Bremer Eltern von Kita-Kindern teilgenommen hat, so ist sie auf Grund der Antwortendenstruktur und der Teilnehmendenzahl als repräsentativ zu bewerten.
*betroffene Eltern: 35% der Gesamtteilnehmerzahl
Ansprechpartnerinnen für Rückfragen:
Ann-Kathrin Rohde: ann-kathrin.rohde@zev-bremen.de
Julia Lawo: julia.lawo@zev-bremen.de